The New (Old) Apostolic Reformation

Die Neue Apostolische Reformation (New Apostolic Reformation, NAR abgekürzt) ist eine der am schnellsten wachsenden Bewegungen innerhalb bzw. an der Peripherie des nordamerikanischen Christentums. Einer der prominentesten Vertreter der NAR, Bill Johnson – leiter der Bethel Church in Redding (Kalifornien, USA), wird in wenigen Wochen in München an der Glaubenskonferenz UNUM24 teilnehmen. 

Wer steckt eigentlich hinter der NAR und was sind ihre Anliegen? In einem Podcast diskutieren Michael Horton, Bob Hiller, Walter Strickland und Justin Holcomb darüber, woher diese Bewegung kommt, was ihre Lehren von Dominionismus, neuen Aposteln und direkter Offenbarung sind, und warum ihre Lehren in der zeitgenössischen christlichen Musik so präsent sind. Sie sprechen auch darüber, warum evangeliumszentrierte Gemeinden die Türen für die NAR nicht öffnen sollten.

Hier: 

 

[#ad]

 

Hat der Protestantismus in Europa eine Zukunft?

Die katholische TAGESPOST schreibt

Noch im 19. Jahrhundert schienen in Deutschland Nationalromantik, Modernismus, Zukunftsvertrauen, Patriotismus, Hohenzollern und Protestantismus mehr oder weniger Hand in Hand zu gehen; „Rom“ galt mit allem, wofür es historisch und theologisch stand, als anachronistisch und „undeutsch“. Nun aber müssen die Protestanten nicht nur in Deutschland, sondern weiten Teilen Europas sich der Aussicht stellen, dass sie in absehbarer Zeit als Volks- und Traditionskirchen aussterben und den Menschen nur noch in Geschichtsbüchern oder hoch volatilen Freikirchen entgegentreten. In der Geschichte wäre das freilich nichts Neues: Auch der Buddhismus, einst zentrale reformatorische Kraft gegen den „Formalismus“ und Ritualismus des Hinduismus, ist letztlich auf dem Subkontinent ausgestorben und kann dort nur noch museal bestaunt werden. Lediglich in Ostasien hat er durch die Symbiose mit Animismus, Daoismus und Konfuzianismus überlebt. Ist es angesichts der analogen Implosion der Church of England und des skandinavischen Protestantismus unmöglich, sich ein Europa vorzustellen, in dem der Protestantismus nur noch eine historische Reminiszenz ist?

Wie groß die Verzweiflung und Orientierungslosigkeit in der Evangelischen Kirche ist, zeigt auch ein Pläydoyer der Pfarrerin Hanna Jacobs. Sie schlägt vor, die Sonntagsgottesdienste ganz abzuschaffen. Das sei würdevoller, als so lange zu warten, bis keiner mehr kommt. Die Vorstellung – so Jacobs, dass sich eine Gemeinschaft darüber konstituiere, dass alle, die dazugehören, zur selben Zeit am selben Ort sein müssen, entstamme dem vormodernen Denken.

Zitat: 

Am Sonntagmorgen wird für die kleine Schar der Anwesenden eine Volkskirche inszeniert, die es nicht mehr gibt. Für Protestanten mag das überwältigende Desinteresse an diesem flächendeckenden Erbauungsangebot bitter sein, für katholische Geistliche muss es ärgerlich bis absurd sein. Unter enormem Kraftaufwand ermöglichen die immer weniger (und älter!) werdenden Priester es den Gläubigen, ihrer Sonntagspflicht nachzukommen. Denn jeder Mensch katholischen Glaubens ist eigentlich dazu verpflichtet, am Sonntag an einer Messe teilzunehmen, wobei der Samstagabend großzügigerweise ebenfalls gilt. Doch mehr als 94 Prozent der Katholiken setzen sich über diese Pflicht hinweg, Tendenz steigend.

Dass die beiden Großkirchen stoisch am Gottesdienst als ihrem Aushängeschild schlechthin festhalten, ist Realitätsverweigerung. In den Generalvikariaten und Landeskirchenämtern weiß man um die Randständigkeit des Sonntagsgottesdienstes, mitunter wird er auch öffentlich als Auslaufmodell bezeichnet. Ironischerweise ist das auch ein Symptom des andauernden Schrumpfungsprozesses, denn anhand der Ratio ein „Gottesdienst pro Kirche“ können personelle Ressourcen relativ vergleichbar verteilt werden. Fusionieren zwei Gemeinden, wird penibel darauf geachtet, dass die sogenannte „gottesdienstliche Versorgung“ in allen bestehenden Kirchengebäuden aufrechterhalten wird, und zwar gerecht verteilt. Für Gottesdienste im wöchentlichen Wechsel oder nacheinander fällt dann halt etwas anderes weg, der Kindernachmittag oder das Seniorenfrühstück. Der Ritus hat Vorrang. 

Ich sehe das anders. Eine Kirchengemeinde, die sich als Trägerin des göttlichen Wortes erweist und das Evangelium auf den Leuchter stellt, hat etwas zu sagen, was sich die Welt selbst nicht geben kann. Dort, wo die Gute Nachricht laut zu hören ist, werden auch in Zukunft Menschen zusammenkommen, um „den Namen unsres Herrn Jesus Christus“ an zurufen (1Kor 1,2).

Die Entweihung des Menschen

Soziologen und Philosophen haben versucht, mit markanten Begriffen charakteristische Eigenschaften der Moderne bzw. Spätmoderne zu beschreiben. Sehr bekannt geworden sind „Entzauberung“ (Max Weber -> Moderne) und „Verflüssigung“ oder „Liquidität“ (Zygmunt Bauman -> Spätmoderne). Carl Trueman, Redner auf der E21-Hauptkonferenz im Juni (vgl. hier), fügt diesen beiden Kategorien noch eine dritte hinzu: die „Entweihung“.

Trueman schreibt:

Die Abschaffung des Menschen, wie Lewis sie beschreibt, findet vor dem Hintergrund zweier Aspekte der Moderne statt: der Entzauberung und der sich beschleunigenden Liquidität. Allerdings, so meine ich, ist für ein angemessenes Verständnis unserer Zeit eine dritte Kategorie hinzuzufügen: die der Entweihung. Der Mensch ist erschaffen nach dem Bild Gottes. Das macht die Abschaffung des Menschen zu einem theologischen Akt mit theologischen Konsequenzen. Für sich genommen bringen weder Entzauberung noch Liquidität diesen Aspekt des Problems angemessen zum Ausdruck, das theologische Konzept der Entweihung hingegen schon.

Das wird uns klarer, wenn wir über die erklärungsschematischen Grenzen von Entzauberung und Liquidität nachdenken. Die erste besteht darin, dass diese Konzepte nur auf den Verlust von etwas hinweisen, was einmal war. Entzauberung verweist auf den Verlust von Verzauberung. Während einst das Übernatürliche das Natürliche durchdrang und das Transzendente die Bedingungen für das Immanente festlegte, bleiben heute nur noch das Natürliche und das Immanente übrig. Ähnlich verhält es sich mit der Liquidität: Wir haben nicht mehr, wie Marx es ausdrückt, ständische und stehende Verhältnisse. Alles richtig – aber der Zustand der Moderne beschränkt sich nicht, wie wir sehen werden, auf diese Verluste.

Das zweite Problem ist, dass Entzauberung und Liquidität einen Mangel an menschlichem Handlungsvermögen suggerieren. Beide sind das Ergebnis unpersönlicher sozialer Prozesse: Industrialisierung, Bürokratisierung, Technologisierung, Globalisierung. Verbunden mit diesen Prozessen ist die Verdinglichung der Phänomene, auf die sie sich beziehen, im allgemeinen Sprachgebrauch: Industrie, Bürokratie, Technologie, die globale Wirtschaft. Jedes dieser Phänomene nimmt in unserem Denken ein Eigenleben an; in diesen Prozessen treten wir Menschen als austauschbare Objekte auf, nicht als aktive Subjekte oder Personen. Doch die Prozesse selbst sind das Ergebnis menschlichen Handelns. Wenn wir zu Rädchen in der Maschine geworden sind, dann deshalb, weil wir die Maschine gebaut haben.

Darüber hinaus dürfen wir den Einfluss und das Wirken kultureller Eliten – der Rechts-, Bildungs-, Technologie-, Kunst-, Manager- und politischen Klassen – nicht außer Acht lassen. In der Vergangenheit sahen sich diese Eliten mit der Aufgabe betraut, Kontinuität zu garantieren; das geschah durch die Wertevermittlung von Generation zu Generation und die sorgfältige Pflege der für diese Aufgabe notwendigen Institutionen und sozialen Praktiken. Heute ist der vorherrschende Impuls unserer Eliten Zerrüttung, Zerstörung und Zerstückelung. Die Abschaffung des Menschen ist ein bewusstes Projekt der Offiziersklasse unserer Kultur, nicht einfach nur das Ergebnis unpersönlicher sozialer und technologischer Kräfte. Für sich genommen, reichen die Kategorien der Entzauberung und Liquidität nicht aus, um dieses Projekt angemessen zu verstehen.

Das dritte Problem besteht darin, dass weder Entzauberung noch Liquidität die theologische Signifikanz der Veränderungen berücksichtigt, die die Moderne in Bezug auf das Verständnis des Menschseins mit sich gebracht hat. Man muss kein Christ (und nicht einmal Theist) sein, um zu begreifen, dass diese Transformationen theologisch bedeutsam sind. Sowohl bei Marx als auch bei Nietzsche ist „Entweihung“ ein Teil ihres Verständnisses der modernen Welt. In derselben Passage des Kommunistischen Manifests, in der verkündet wird, dass alles Stehende verdampft, wird erklärt, dass alles Heilige entweiht wird. Und Nietzsches „toller Mensch“ macht sehr deutlich, dass Gott nicht nur in der moralischen Vorstellung aufgehört hat zu existieren, sondern tot ist – mehr noch, dass wir ihn getötet haben. Diese Tötung Gottes ist sicherlich der ultimative Akt aktiver Entweihung.

Sowohl Nietzsche als auch Marx bewerten diese Entweihung positiv. Für Marx ist Religion ein Opiat, das das Proletariat daran hindert, den vollen Schmerz zu spüren, den der Kapitalismus verursacht. Religionskritik ist daher von zentraler Bedeutung für das revolutionäre Projekt. Entweihung ist eine Voraussetzung für die Verwirklichung der kommunistischen Utopie. Für Nietzsche ist der Tod Gottes, auch wenn er eine erschreckende Verantwortung auf die Schultern der Menschen legt, eine notwendige Voraussetzung für die Selbsttranszendenz des Menschen. Die Frage ist nur, ob wir dieser Aufgabe gewachsen sind.

Mehr: www.evangelium21.net.

[#ad]

Methodisten: Progressive Machtergreifung

Paul und Peter Bruderer aus der Schweiz haben die Generalkonferenz 2024 der Evangelisch-methodistische Kirche in Deutschland (EmK) ausführlich kommentiert. Sie schreiben: „Die weltweite Methodistische Kirche ist vergangene Woche zu einer Regenbogenkirche mutiert. Nachdem 2023 tausende konservative Kirchen den Verband verlassen haben, setzt der liberale Flügel, der nun in der Mehrheit agiert, seine LGBT+-Agenda konsequent durch.“

Hier ein Auszug aus dem Beitrag von von Paul und Peter:

Gemäss den neuen Vorgaben der Methodistischen Kirche wird vieles möglich:

  • Ausgelebte Sexualität in wilder Ehe
  • Ausgelebte Sexualität, ohne zusammenzuleben
  • Polyamouröse Beziehungs-Netzwerke die gemischt hetero- und homosexuell sein können
  • Ausgelebte Homosexualität in den gleich verschiedenen Formen wie in der Heterosexualität
  • Weil inzestuöse Beziehungen einvernehmlich sein können, sind auch solche im Grundsatz nicht ausgeschlossen – auch wenn die methodistischen Leiter dies selbstverständlich im Moment bestimmt ausschliessen wollen. Sie brauchen jedoch eine Grundlage, mit welcher sie begründen können, warum inzestuöse Beziehungen auszuschliessen sind. Diese Grundlage haben sie letzte Woche abgeschafft.

Ein Blick in weitere Entscheidungen der Konferenz macht klar, dass in der Methodistischen Kirche das vollständige ‚woke‘ Programm umgesetzt werden soll. Einige Beispiele müssen uns genügen:

Alle Konferenzredner waren angehalten, sich am Anfang ihrer Voten nach den Vorgaben der Intersektionalität zu identifizieren. Es reichten nicht Namen und Herkunftsland, sondern Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Pronomen und dergleichen wurden da schon erwartet. Diese Vorgabe sorgte bei den angereisten Vertretern des globalen Südens für erhebliche Irritationen.

Die Teilnehmer waren angehalten, im Sinne einer geschlechtergerechteren Haltung, „ausschliesslich männliche Sprache über Gott“ zu vermeiden. Wohl deshalb wurde im Rahmen des Abschlusssegen der Aufruf, das Werk des „Königreiches“ zu tun, kurzerhand umgeschrieben. „König“ ist wohl ein männliches Wort und schmeckt nach Patriarchat.

Abtreibungsrechte wurden forciert. So wurde eine Petition angenommen, in der erklärt wurde, „staatliche und bundesstaatliche Gesetze und Verordnungen, die den Schwangerschaftsabbruch verbieten“, würden „das Recht einer Person auf das gesamte Spektrum der reproduktiven Gesundheitsfürsorge“ Das ‚Recht auf Abtreibung‘ ist seit jeher ein integraler Bestandteil der modernen sexuellen Revolution (die eigentlich eine Devolution in heidnische Umstände ist).

Eine Resolution wurde angenommen, in der Vermögensverwalter angehalten werden, keine Gelder in Israel zu investieren, welches man als unterdrückende, gar ein Genozid verübende Besatzungsmacht sieht. Damit schwenken die Methodisten in ihrer Israelpolitik auf den Kurs der antisemitischen BDS-Bewegung Damit werden die neomarxistischen Wurzeln der aktuellen innermethodistischen Umwälzung blossgelegt.

Es ist bedauerlich, dass das reiche geistliche und soziale Erbe der Methodistischen Kirche eine solche Entwicklung nimmt. Die Methodistische Kirche wendet sich mit diesen Schritten von ihren biblischen Wurzeln und von ihrem Herrn Jesus Christus ab. Sie schöpft nun lieber aus anderen Quellen und lässt sich von anderen Personen und Ideologien inspirieren.

Obige Beobachtungen zeigen leider einmal mehr, dass es eine Illusion ist zu meinen, man könne den liberal-progressiven Anliegen mit leichter Akkommodation den Wind aus den Segeln nehmen. Akkommodation ist für Progressive lediglich die Basis für die nächste Forderung. Die Vision ist nie der Konsens, sondern immer die Revolution. Hat man erstmal die Zügel der Macht in der Hand wird ‚gesäubert’, ‚umgeschrieben’, ‚neu definiert’. Die neue Hegemonie wird etabliert. Und wie im Fall der Methodistischen Kirche, wird diese Machtübernahme auch noch als Entwicklung in die Toleranz und Achtsamkeit gegenüber Andersdenkenden verkauft.

Es gehört quasi zum Standardvorgehen links-progressiver Liberaler im ‚queeren’ ihrer Kirchenverbände, zuerst einmal an die gegenseitige Ambiguitätstoleranz zu appellieren. Dieser Ruf nach bewusst gelebter Unschärfe in der Theologie und Ethik ist jedoch nur der erste Schritt. Der Absolutismus wartet nur zu oft gleich um die Ecke. Es gibt genügend Beispiele dafür, auch im deutschen Raum.

So hat 2015 der damalige Präses des Gnadauer Verbandes Michael Diener verkündet, er sei in der kirchlichen Frage nach der Ehe für alle „aus tiefster Überzeugung plural“. Neun Jahre später kommen in seinem freudigen Kommentar zum aktuellen Entscheid der Methodisten nur noch absolute Töne: „es kann keine Kompromisse geben“.

Gemäss Bestsellerautor James Lindsay laufen ‚woke‘ Machtübernahmen in Organisationen stets nach gleichen Mustern ab. Lindsay unterscheidet 5 Stufen der Machtübernahme. Erst wird Zutritt in die Organisation verlangt (1). In einem zweiten Schritt wird eine (zunehmende) Akkommodation gefordert, also spezifische Zugeständnisse an die Bedürfnisse und Vorstellungen der Protagonisten (2). Als nächstes wird die Einbindung in Leitungsgremien verlangt (3), also Zugang in die Machtstruktur der Organisation mit dem Ziel, die Kontrolle über die Leitungsgremien zu erlangen und damit die Regeln in der Organisation bestimmen zu können (4). Im letzten Schritt geht es um die Durchsetzung der Macht auf allen Ebenen der Organisation (5).

Hier der empfehlenswerte Artikel: danieloption.ch.

Freundschaft plus

Der Autor Ole Liebl plädiert in der FAZ dafür, mehr von einer Freundschaft zu fordern – auch Sex. Er nennt das „Freundschaft plus“. Aus der Sicht von Liebl würden solche Freundschaften letztlich die Beziehungen zwischen Menschen entlasten. Daher möchte er, dass für dieses Modell ein rechtlicher Rahmen gefunden wird.

Dieser Vorschlag ist nicht denkbar ohne eine Umwälzung der Geschlechterverhältnisse und eine tiefgreifende Veränderung unserer Vorstellungen von Sexualität und Liebe. Die Foucaultsche Transgression wird vorausgesetzt. Das gibt Ole Liebl offen zu, wenn er sagt:

Die Freundschaft plus mag als etwas obskures Thema gelten und nur eine kleine Gruppe an Menschen betreffen. Dass sie als Symptom einer sexuell liberalen Gesellschaft überhaupt entstehen konnte, setzt voraus, dass Männer und Frauen befreundet sind. Dass Sexualität außerhalb der Ehe nicht mehr mit Strafen oder gesellschaftlicher Ächtung bewehrt ist. Dass es Verhütungsmittel gibt. Es musste sich so viel an gesetzlichen und ethischen Normen sowie den Geschlechterverhältnissen ändern, damit die Freundschaft plus überhaupt möglich wurde. Und das sind Entwicklungen, die alle Leute betreffen.

Auf die Frage, was denn Sex mit einer Freundschaft macht, antwortet Liebl übrigens:

Das kann nicht vorhergesagt werden. Sex ist ein zweischneidiges Schwert. Es kann passieren, dass Sex eine Freundschaft zerreißt. Aber Sexualität ist eben auch in der Lage, eine Freundschaft zu vertiefen und auf eine andere Ebene zu heben. Wir sind Menschen mit einem Körper, der sich nach Nähe sehnt, nach Berührungen, nach Gehaltenwerden, nach Geborgenheit. Und ich weiß nicht, warum Freundschaften ohne diesen Teil auskommen sollten. Das muss nicht sein. Wenn Begehren und Einverständnis da sind und der Mut oder die Lust, das zu probieren, dann möchte ich dazu ermutigen. Wir dürfen der Freundschaft mehr zutrauen, mehr von ihr fordern, ja überhaupt: mehr Freundschaft wagen.

Dass „Freundschaft plus“ die direkte Konfrontation mit der christlichen Ethik sucht, muss hier nicht weiter ausgeführt werden. Das Modell wird dort, wo es sich durchsetzt, Enttäuschungen, Verletzungen und ein schweres Erbe hinterlassen. Sexualität benötigt einen verbindlichen Schutzraum wie ihn nur eine Ehe bietet. Ich nutze daher die Gelegenheit, um noch einmal auf die Verteidigung der biblischen Sexualethik in Schönheit und Relevanz hinzuweisen.

Evangelische Kirche verliert 593.000 Mitglieder

Nur noch rund 20 Prozent der deutschen Bevölkerung sind Mitglieder in der Evangelischen Kirche. Den Mitgliederschwund konnten auch Taufen und Wiedereintritte im vergangenen Jahr nicht aufhalten. Die FAZ meldet: 

Die evangelische Kirche hat im vergangenen Jahr in Deutschland abermals mehr als eine halbe Million Mitglieder verloren. Wie die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) am Donnerstag in Hannover mitteilte, gehörten ihr zum Stichtag 31. Dezember 2023 rund 18,6 Millionen Menschen an. Das entspricht einem Rückgang von rund 593.000 und 3,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit erreichte der Mitgliederverlust einen neuen Höchstwert. Rund 21,9 Prozent der deutschen Bevölkerung sind demnach noch Mitglied einer der 20 evangelischen Landeskirchen (2022: 22,7 Prozent). Auch die Einnahmen aus der Kirchensteuer sanken im Jahr 2023, und zwar um 5,3 Prozent auf gut 5,91 Milliarden Euro.

Mehr: www.faz.net.

Lebensschutz in der Bibel?

Nele Pollatschek sucht in der SZ nach neuen Arguementen in der Abtreibungsdebatte und versteigt sich zu der Behauptung, dass sich die Bibel nur an einer Stelle für den Schutz ungeborenen Lebens ausspricht, nämlich in 1Mose 38:

Wann also beginnt potenzielles Leben? Auf der Suche nach Antworten hilft die Bibel. Ein Buch, das sich in der “ Pro Life“-Bewegung großer Beliebtheit erfreut, obwohl es sich insgesamt eher pro-Schwangerschaftsabbruch geriert – ständig werden Feten in Gottesnamen aus ungläubigen Bäuchen gerissen. Die einzige Passage, die sich explizit für den Schutz potenziellen Lebens starkmacht, findet sich in Genesis 38. Nach dem Tod seines Bruders soll Onan mit dessen Witwe einen Nachkommen zeugen. Allerdings lässt Onan seinen Samen lieber zur Erde fallen, wofür Gott ihn mit dem Tod bestraft.

Wenn die Bibel männlichen Samen als potenzielles Leben ansieht, erkennt sie etwas biologisch Korrektes, denn tatsächlich strebt schon ein Spermium danach, menschliches Leben zu werden, indem es sich auf eine Eizelle zubewegt. Ein Spermium kann vom Bestreben, Leben zu werden, nur abgehalten werden, indem man es statt mit einer Eizelle mit unbelebbarem Milieu konfrontiert. Erde, Taschentuch, Socke, der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt.

Da hat sich Frau Pollatscheck freilich verrannt. In 1Mose 38,8–9 weist Juda seinen zweiten Sohn Onan an, den Brauch der „Leviratsehe“ zu erfüllen, wonach ein Bruder die kinderlose Witwe seines Bruders heiraten und ihr Kinder schenken musste (vgl. 5Mose 25,5–10; Rut 1,11–13; 4,1–12; siehe a. Mt 22,24–25; Lukas 20,28). Der Text möchte gar nicht sagen, dass im männlichen Samen ein potentieller Mensch steckt. Nele Pollatscheks Strohmann-Argument, dass nämlich ungeborenes Leben nur dann Schutz verdient, wenn auch männliche Samen Lebensschutz erhalten, ist hinfällig. 

Es gäbe durchaus andere Bibeltexte, die davon sprechen, dass ungeborene Kinder Lebensschutz verdienen. Wie wäre es mit Jeremia 1,5, wo Gott zu dem Propheten spricht: „Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.“ Oder Psalm 139,13–16, in dem der König David ausspricht, dass seine Erschaffung im Mutterleib ein Grund dafür ist, Gott als den Schöpfer zu loben:

Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe. Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele. Es war dir mein Gebein nicht verborgen, da ich im Verborgenen gemacht wurde, da ich gebildet wurde unten in der Erde. Deine Augen sahen mich, da ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war.

Übrigens: Der Artikel von Frau Dr. Pollatschek ist wirklich seelenlos. Sie schlägt vor, dass in Deutschland in die Forschung für Uterus-Transplantationen investiert wird und dann in Zukunft die Männer, die gegen Schwangerschaftsabbrüche sind, sich eine Gebärmutter anschaffen und als Trans-Frauen potentielles Leben austragen dürfen: „Sollte die Forschung bei Transplantationen von Gebärmüttern in trans Frauen erfolgreich sein, könnten sich auch xy-chromosomale Schwangerschaftsabbruchsgegner für das Austragen potenziellen Lebens zur Verfügung stellen. Das wäre ein guter Kompromiss.“

Diesem seelenlosen Geplär setzte ich – auch wenn ich mich wiederhole – Bonhoeffers kluge Stellungnahme entgegen (Ethik, Werkausgabe, Bd. 6, S. 203–204):

Mit der Eheschließung ist die Anerkennung des Rechtes des werdenden Lebens verbunden, als eines Rechtes, das nicht in der Verfügung der Eheleute steht. Ohne die grundsätzliche Anerkennung dieses Rechtes hört eine Ehe auf Ehe zu sein und wird zum Verhältnis. In der Anerkennung aber ist der freien Schöpfermacht Gottes, der aus dieser Ehe neues Leben hervorgehen lassen kann nach seinem Willen, Raum gegeben. Die Tötung der Frucht im Mutterleib ist Verletzung des dem werdenden Leben von Gott verliehenen Lebensrechtes. Die Erörterung der Frage, ob es sich hier schon um einen Menschen handele oder nicht, verwirrt nur die einfache Tatsache, daß Gott hier jedenfalls einen Menschen schaffen wollte und daß diesem werdenden Menschen vorsätzlich das Leben genommen worden ist. Das aber ist nichts anderes als Mord. Daß die Motive, die zu einer derartigen Tat führen, sehr verschiedene sind, ja daß dort, wo es sich um eine Tat der Verzweiflung in höchster menschlicher oder wirtschaftlicher Verlassenheit und Not handelt, die Schuld oft mehr auf die Gemeinschaft als auf den Einzelnen fällt, daß schließlich gerade an diesem Punkt Geld sehr viel Leichtfertigkeit zu vertuschen vermag, während bei den Armen auch die schwer abgerungene Tat leichter ans Licht kommt, dies alles berührt unzweifelhaft das persönliche, seelsorger[liche] Verhalten gegenüber dem Betroffenen ganz entscheidend, es vermag aber an dem Tatbestand des Mordes nichts) zu ändern. Gerade die Mutter, der dieser Entschluß zum Verzweifeln schwer wird, weil er gegen ihre eigenste Natur geht, wird die Schwere der Schuld am wenigsten leugnen wollen.

Biblische Seelsorge, allgemeine Offenbarung und die Genügsamkeit der Schrift

Mit der freundlichen Erlaubnis von John Frame gebe ich nachfolgend einen Briefwechsel zur Frage der Genügsamkeit der Heiligen Schrift in der Seelsorge wieder. Im April 2016 erreichte John Frame eine diesbezüglich Anfrage. Er hatte das Buch Theologie der biblischen Seelsorge von Heath Lambert empfohlen. Darauf meldete sich verwundert E.L. und wollte wissen, ob nicht John Frame in seiner Ethik einen anderen Ansatz vertritt als Heath Lambert in seiner Seelsorgelehre. Frame nutzte die Gelegenheit, um seine Sicht der Dinge etwas konkreter darzulegen.

Hier der Briefwechsel zwischen E.L. und John Frame:

April, 2016

Dr. Frame, ich war überrascht zu sehen, dass Sie Heath Lamberts neues Buch A Theology of Biblical Counseling befürworten, obwohl Sie Heaths Ansatz zur Beratung in Ihrem eigenen Ansatz zur Ethik ablehnen. In The Doctrine of God [#ad] sagen Sie (S. 194–197):

Eine vollständig christliche Ethik erkennt allein Gottes Wort als ultimativ an. Dieses Wort findet sich in erster Linie in der Heiligen Schrift, der Bundesverfassung des Volkes Gottes (Dtn 6,6–9; Mt 5,17–20; 2Tim 3,15–17; 2Petr 1,21), aber es offenbart sich auch in der Welt (Ps 19,1ff.; Röm 1,18ff.) und im Menschen selbst (Gen 1,27ff.; 9,6; Eph 4,24; Kol 3,10). Ein Christ wird diese drei Bereiche studieren, wobei er ihre Kohärenz voraussetzt und daher an jedem Punkt versucht, jede Erkenntnisquelle mit den beiden anderen zu integrieren …
Denn ethische Urteile beinhalten exegetisches, empirisches und psychologisches Wissen, das wiederum Logik und andere Fähigkeiten einschließt. Da verschiedene Christen unterschiedliche Gaben haben, müssen wir zusammenarbeiten … 
Ja, das Schriftwort ist als Bundesverfassung des Volkes Gottes vorrangig. Wir können die Heilige Schrift ohne die subjektive Erleuchtung durch Gottes Geist nicht richtig anwenden. Ja, die Heilige Schrift ist bedeutungslos, wenn sie nicht auf Situationen anwendbar ist, also müssen wir die Zeit, in der wir leben, wirklich verstehen. Nein, keine dieser Perspektiven hat, wenn sie richtig verstanden wird, Vorrang vor den beiden anderen, denn jede schließt die beiden anderen ein …

Sie treten also für den Vorrang der Schrift (normative Perspektive) bei ethischen Entscheidungen ein, halten aber auch das Wissen, das sich im Selbst (subjektiv) und in der Welt (situativ) offenbart, für notwendig. Aber es sind die beiden letztgenannten Wissensperspektiven, die Heaths Ansatz (und ein Großteil der traditionellen biblischen Seelsorge) für entbehrlich hält. Heath wird oft zugeben, dass situatives und subjektives Wissen wahr und vielleicht sogar hilfreich für die Beratung ist (obwohl er dem manchmal widerspricht), aber er beharrt darauf, dass situatives und subjektives Wissen für die Bewältigung von Beratungsfragen nicht notwendig ist. Heaths mangelnde Bereitschaft, situatives und subjektives Wissen zu akzeptieren, passt nicht zu Ihrer eigenen Bereitschaft, sie anzunehmen und sie als notwendig für ethische Fragen zu bezeichnen. Daher bin ich überrascht und entmutigt, dass Sie sein Buch so herzlich empfehlen. Und ich hoffe, Sie werden es sich noch einmal überlegen.

E.L.

Lieber Herr L.,

zunächst einmal sollten Sie bedenken, dass die seelsorgerliche Beratung nicht mein akademisches Fachgebiet ist. Im Laufe der Jahre hatte ich gute Beziehungen zu Seelsorgelehrern verschiedener Denkrichtungen. Jay Adams war in meiner Zeit in Philadelphia und Kalifornien ein sehr guter Freund. Heute bin ich Kollege von Professoren der Seelsorge, die eher integrativ denken. Ich habe verschiedene Aspekte beider Ansätze zu schätzen gewusst und gute und schlechte Beispiele für die Beratung unter beiden Flaggen miterlebt. Ich kann also nicht garantieren, dass ich in diesem Bereich zu 100 Prozent konsistent bin.

Dennoch muss ich auf Ihre Kritik in einigen Punkten eingehen. Wie Sie wissen, habe ich eine hohe Sicht von der Heiligen Schrift (siehe mein Buch Doctrine of the Word of God) (#ad) und vertrete eine dreiseitige Perspektive der Erkenntnistheorie. Diese beiden Auffassungen sind unterschiedlich, aber ich denke, sie sind miteinander vereinbar.

Denken Sie daran, dass die normative Perspektive nicht die Schrift ist. Die normative Perspektive umfasst die gesamte Offenbarung Gottes, und die ist natürlich universell. Theologen unterscheiden also zwischen „spezieller Offenbarung“, „allgemeiner Offenbarung“ und der Offenbarung im Menschen als Ebenbild Gottes, was ich „existentielle Offenbarung“ nenne. Im dreiperspektivischen Verständnis schließt jede dieser Perspektiven die beiden anderen ein. So schließt die normative Perspektive alles ein. Sie sieht Gott und seine gesamte Schöpfung als Normgeber für menschliche Entscheidungen.

Die Heilige Schrift ist nicht die normative Perspektive. Sie ist ein Teil der normativen Perspektive, aber auch ein Teil der situativen und existentiellen Perspektive. Sie ist ein Buch, das normativ ist, aber auch eine Tatsache der objektiven Welt (situativ) und eine Tatsache der menschlichen Erfahrung (existenziell).

Das Besondere an der Heiligen Schrift ist, dass sie das Dokument des Bundes ist, das Gott inspiriert hat, um sein Volk und letztlich die Menschheit zu leiten. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Heilige Schrift von anderen „Normen“. Wir bezeichnen sie als notwendig, verbindlich, klar und ausreichend. Winnie the Pooh ist auch Teil der normativen Perspektive (da alles Teil der normativen Perspektive ist), aber er hat eine ganz andere Funktion als die Schrift innerhalb der normativen Perspektive. Die Heilige Schrift ist irrtumslos, Winnie ist es nicht.

Nochmals: Ich glaube nicht, dass es einen Widerspruch zwischen meiner Lehre von der Schrift und meiner dreiperspektivischen Erkenntnistheorie gibt. Die Schrift ist eine ganz besondere Art von Norm, die innerhalb der normativen Betrachtungsweise über allen anderen Normen steht. Sie ist freilich auch Teil der situativen Perspektive, also der Tatsache, die alle anderen Fakten erhellt. Und sie ist Teil meiner subjektiven Erfahrung, der Erfahrung, die all meine anderen Erfahrungen bestimmt.

Wie gesagt, das passt alles gut zusammen. Aber natürlich ist es möglich, dass Christen dies missverstehen und eine unzulässige Dichotomie zwischen der Schrift und den drei Perspektiven aufstellen, wenn jemand sagt: „Die Schrift ist unsere Regel, nicht die normative Perspektive“. Natürlich ist die Heilige Schrift unser Maßstab, unsere letzte Autorität. Aber jeder versteht, dass wir die Schrift BENUTZEN, indem wir sie auf Situationen außerhalb der Schrift ANWENDEN. Um die Heilige Schrift zu nutzen, müssen wir also Dinge verstehen, die über die Heilige Schrift hinausgehen. Das heißt, um diese Norm anwenden zu können, müssen wir Situationen und Personen verstehen. Um unsere maßgebliche Schrift zu nutzen, müssen wir also ihre Beziehung (als ultimative Norm) zu den situativen und existentiellen Perspektiven verstehen.

In der Theorie der seelsorgerischen Beratung konzentriert sich die nouthetische bzw. „biblische“ Schule auf die Autorität, insbesondere die Suffizienz, der Schrift. Die „Integrationisten“ konzentrieren sich auf die Notwendigkeit, die Heilige Schrift mit außerbiblischen Daten in Beziehung zu setzen. In meinen Worten: Sie konzentrieren sich auf die Ausgewogenheit der drei Perspektiven.

In einem wichtigen Punkt haben beide recht. Christliche Seelsorger müssen fest an der Genügsamkeit der Schrift festhalten. Aber wenn sie natürlich nur die Schrift haben und sich weigern, die Schrift auf Situationen und Menschen anzuwenden, dann kann ihre Beratung nicht gelingen. Die Integrationisten haben demnach auch Recht; aber sie müssen daran erinnert werden, dass die Schrift das Buch des Bundes ist: Wenn außerbiblische Daten in eine andere Richtung zu weisen scheinen, müssen wir uns an die Schrift halten, sogar an Scriptura SOLA.

Im Großen und Ganzen würde ich mir eine weniger polemische Beziehung zwischen diesen beiden Schulen wünschen. Konzeptionell besteht dafür keine Notwendigkeit. Die Genügsamkeit der Schrift ist mit der Notwendigkeit vereinbar, die Schrift mit außerbiblischen Daten zu integrieren. Und die außerbiblischen Daten müssen im Licht der Heiligen Schrift verstanden werden. Keines von beiden kann ohne das andere funktionieren.

Die nouthetische bzw. biblische Fraktion hat den Wert der dreiperspektivischen Erkenntnistheorie anerkannt. Dave Powlison hat mir dazu in sehr ermutigender Weise geschrieben. Andererseits haben meine [integrativ arbeitenden] Kollegen hier meine Lehre von sola Scriptura nicht in Frage gestellt. Mein alter Freund Jim Hurley sagte vor einiger Zeit zu mir, dass „Jay Adams uns die Bibel zurückgegeben hat“. Worüber kann man also noch streiten? Vielleicht ist ein Teil des Problems Parteilichkeit oder Team-Rivalität.

Wenn ich ein Buch wie das von Lambert lese, sehe ich, dass er sich auf das Prinzip sola Scriptura konzentriert. Meiner Meinung nach lehnt er unsere Verantwortung, die Schrift mit außerbiblischen Daten in Beziehung zu setzen, nicht ab. Das Buch nimmt diese Verantwortung an, aber es argumentiert für die Notwendigkeit, außerschriftliche Daten gemäß dem Sola-Scriptura-Prinzip zu lesen. Als solches halte ich es für ein gutes Buch.

Wenn Hurley oder Coffield argumentieren würden, dass wir die Lehre von sola Scriptura fallen lassen können, würde ich ihnen widersprechen. Aber ich sehe nicht, dass sie so argumentieren.

Der Streit dreht sich vielleicht um die relative Betonung auf beiden Seiten. Und zur relativen Betonung habe ich keine starke Meinung. Sollen die beiden Schulen doch miteinander darüber streiten. Mir ist das ziemlich egal. Wir sollten denjenigen Grundsatz betonen, der gerade in Frage gestellt wird. Manchmal sollten wir das eine betonen, manchmal das andere. Manchmal bin ich der Meinung, dass ein Buch auf der einen Seite zu ausgewogen ist, oder dass ein anderes Buch auf der anderen Seite unausgewogen ist. Ich habe keine Kritik an Lamberts Ausgewogenheit, aber ich könnte einem Buch mit dem entgegengesetzten Schwerpunkt ebenso wohlwollend gegenüberstehen, solange es die Genügsamkeit der Schrift anerkennt. Ich stimme nicht mit Ihrer Aussage überein, dass Lambert „die [situativen und existentiellen] Perspektiven für unnötig hält“. Ich stimme auch nicht mit Ihnen darin überein, dass „Heath darauf beharrt, dass situatives und subjektives Wissen für die Behandlung von Beratungsfragen nicht notwendig ist“. Er würde, denke ich, sagen, dass diese nicht „notwendig“ sind, da die Schrift notwendig ist („Notwendigkeit“ ist eine der reformatorischen Attribute der Schrift), aber ich glaube nicht, dass er die Absurdität lehrt, dass es in der Beratung mit jemandem ausreicht, die Bibel zu kennen, und dass man gar nichts über den Klienten wissen muss.

Zu all dem könnte man noch mehr sagen, aber ich würde es vorziehen, wenn die Seelsorger diese Fragen unter sich besprechen würden.

Ich hoffe, dass das eine oder andere für Sie hilfreich ist.

Seien Sie gesegnet im Herrn,

Dr. John Frame

Frei erfundene Forschung

Martin Amrein berichtet in der NZZ über den Trend zu KI-Fälschungen in der Wissenschaft. Bis zu fünf Prozent der Fachartikel könnten Textteile oder auch Bilder enthalten, die von künstlicher Intelligenz stammen. Fälschungsjäger können mit den neusten technischen Entwicklungen nicht mehr mithalten.

Zitat: 

Manipulationen in Fachartikeln sind gar nicht so selten. Bei einer anonymen Umfrage in den Niederlanden gaben acht Prozent der Forscherinnen und Forscher zu, schon mindestens einmal Daten gefälscht oder erfunden zu haben. Wollen Wissenschafter Karriere machen, müssen sie Studien veröffentlichen. Um sich um Fördergelder oder neue Stellen zu bewerben, brauchen sie Publikationen für ihren Lebenslauf. Dieser Druck ist mancherorts so gross geworden, dass eine wahre Fälschungsindustrie entstanden ist. So müssen in China auch Spitalärzte, denen es an Zeit oder Kompetenz für Forschung mangelt, immer wieder Artikel in Fachzeitschriften vorweisen. Sogenannte „Paper Mills“ bieten dafür eine einfache Lösung an: Sie verkaufen gefälschte Artikel.

Anfang 2020 stiessen Elisabeth Bik und andere Gleichgesinnte auf Bildfälschungen in Hunderten von Artikeln die alle von einer solchen Publikationsfabrik stammten. Dabei ging es um sogenannte „Western Blots“, die Muster von Proteinen auf einem Trägermedium darstellen. Bildmanipulationen von „Western Blots“ gehören zum Alltag von Bik. In diesem Fall waren für einmal aber nicht die Proteinflecken selbst verdächtig. „Diese hatten die Fälscher mit einer Software gut hinbekommen“, erklärt Bik. „Die Manipulationen waren nur zu entdecken, weil in den Bildern immer der genau gleiche Hintergrund vorkam.“

Mehr: www.nzz.ch.

Warum die postkoloniale Theorie einen erkenntnisblinden Aktivismus fördert

Columbia, Yale, New York. Antisemitische Demonstrationen haben sogar die Eliteuniversitäten in den USA erfasst. Die TAZ berichtet:

Demonstrierende der Cooper Union in New York, die „Free Palestine“ skandierten, schlugen gegen verschlossene Bibliothekstüren, hinter denen sich jüdische Studierende verschanzen mussten. Bei einem Protest an der New York University waren zwei Studierende mit Schildern zu sehen, auf denen „Keep the world clean“ (Haltet die Welt sauber) zu lesen war, daneben eine Zeichnung eines Davidsterns in einer Mülltonne.

An der Universität von Wisconsin, Milwaukee, riefen Students for Democratic Society zum Streik auf und betonten in Statements in den sozialen Medien, dass „Zionismus keinen Platz auf unserem Campus hat“ und verwendeten den Hashtag „#ZionismOffCampus“. Studierende der George Washington University projizierten „Glory To Our Martyrs“ and „Free Palestine From The River To The Sea“ an die Außenwände der Universitätsbibliothek.

Über 100 Studierende der University of North Carolina forderten die Universität auf, alle israelischen Unternehmen zu boykottieren sowie „Unternehmen, die Israel unterstützt haben“. Ein Redner an der University of Washington erklärte: „Wir wollen nicht, dass Israel existiert. Wir wollen nicht, dass diese zionistischen Gegendemonstranten existieren.“

Auch an der Universität von Minnesota wurde eine Rede gehalten, die explizit zur Zerstörung Israels aufrief. „Wir müssen die Zerstörung des imperialistischen zionistischen Regimes als Ziel haben, um eine erfolgreiche Intifada zu erreichen.“ Worauf die Menge skandierte: „Intifada bis zum Sieg! Es gibt nur eine Lösung: Intifada, Revolution.“

Woher kommen dieser Hass auf Israel und der Antisemitismus? Wer denkt, dafür sei der jüngste militärische Einzug der Israelis in Gaza verantwortlich, sieht viel zu kurz.

Ulrich Morgenstern und Susanne Schröter haben in der FAZ einen Gastbeitrag mit dem Titel „Die Konstruktion des Bösen“ veröffentlicht, in dem sie sich – endlich – kritisch mit der „postkolonialen Theorie“ auseinandersetzen, die seit vielen Jahren unhinterfragt an den Universitäten (mit politischer Unterstützung) implementiert wurde und nun enormen Schaden anrichtet. Theorien, die unter den Bedingungen der „Postmoderne“ entwickelt wurden, fördern nicht den gegenseitigen Respekt, sondern Machtspiele – und damit letztlich Gewalt. Dies sollte auch den Vertretern eines postmodernen Christentums zu denken geben.

Hier einige Auszüge aus dem Artikel „Die Konstruktion des Bösen“, den ich insgesamt sehr empfehle:

Denkmuster und Rhetorik der frühen postkolonialen Theorie weisen deutliche Parallelen zur marxistischen Tradition auf. Said hatte mit seiner Streitschrift just zu der Zeit Erfolg, als es linken Intellektuellen peinlich wurde, für ein ausgebeutetes Proletariat zu trommeln. Als neuer Hoffnungsträger bot sich die „Dritte Welt“ an. Unverändert blieb das dem antagonistischen Klassendenken entsprungene „oppressor/oppressed-mindset“. Diesem manichäischen Weltbild ist der Zwang zur Positionierung inhärent.

Die Forderungen nach Dekolonisierung von allem und jedem von der Kindererziehung bis zum Musikleben zeigen, wie sehr sich der Postkolonialismus von der kritischen Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte entfernt hat. Man geht inzwischen von der irrigen Annahme aus, all diese Bereiche des privaten und des sozialen Lebens seien von falschem Bewusstsein, diesmal nicht bourgeoiser, sondern „weißer“, kolonialer Prägung determiniert.

Saids These, dass jeder Europäer, der etwas über den Orient schrieb, ein Rassist oder Imperialist sei, geht auch in anderer Richtung fehl. Tatsächlich versammelt Said in seiner eklektisch zusammengetragenen Sammlung von Orientalisten auch Wissenschaftler wie Ignaz Gold ziher (1850 bis 1921) und William Robertson Smith (1846 bis 1894), die dem Orient mit unvoreingenommenem Interesse begegneten. Einige der von ihm in ein zweifelhaftes Licht Gerückten, zu denen beispielsweise Louis Massignon (1883 bis 1962) gehört, engagierten sich für die Rechte der von ihnen Erforschten, andere wie der sprachbegabte Reisende Richard F. Burton (1821 bis 1890), der unerkannt das für Nichtmuslime verbotene Mekka erkundete, und der Arabist Hamilton A. R. Gibb (1895 bis 1971) fielen durch eine schwärmerische Begeisterung für den Orient auf. Wer Said systematisch liest, dem müssen solche Widersprüche auffallen, doch in der postkolonialen Theorie geht es weniger um ein gründliches Quellenstudium als um die Reduktion komplexer Realitäten auf das schlichte Muster von Unterdrücker und Unterdrückten. Dieses kennzeichnet die Ausformulierungen der postkolonialen Theorie seit den Achtzigerjahren durch Theoretiker wie Homi K. Bhabha, Gayatri C. Spivak, Étienne Balibar, Stuart Hall und Kimberlé Crenshaw.

Gefälligkeitsforschungen laufen fundamentalen Prinzipien der Wissenschaftlichkeit ebenso zuwider wie Forderungen, Wissenschaft in den Dienst einer politischen Allianz zu stellen. Während empirische Sozialwissenschaft fragen kann, wo, inwieweit und warum gesellschaftliche Übelstände zu verzeichnen sind und welche Faktoren zu ihrer Überwindung beitragen können, setzt aktivistische Wissenschaft diese Nachteile absolut und sich selbst als die rettende Kraft in Szene. Jede Wissenschaft, die Aktivismus einfordert, läuft Gefahr, ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Implizite oder explizite politische Positionierungen von Hochschulen, Instituten und Lehrveranstaltungen erzeugen zudem einen Konformitätsdruck auf Studenten und Stellenbewerber.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.faz.net.

[#ad]

Carl Trueman: Den Glauben wiederfinden in einer radikal individualistischen Kultur

Andrew Klaven hat kürzlich mit Carl Trueman über die Herausforderungen gesprochen, die der radikale Individualismus für die Gesellschaft und die Kirche hervorbringt:

[#ad]

Abtreibungsdebatte: „Sexualität und Kinderwunsch stimmen nicht überein“

Die Befürworter eines Abtreibungsrechts melden sich vermehrt zu Wort, nachdem eine von der Regierung eingesetzte Expertenkommission empfohlen hat, in den ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft Abbrüche zu legalisieren (den Hinweis auf beide nachfolgend besprochene Stellungnahmen verdanke ich einem Beitrag der TAGESPOST).

Der Jurist und Journalist Heribert Prantl empfiehlt in einem Beitrag für die SZ die vollständige Abschaffung des § 218. Er beruft sich auf ein Votum der beiden Höchstrichter Ernst Gottfried Mahrenholz und Berthold Sommer zum letzten Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1993. Dort haben diese erklärt: „Zu den spezifischen Grundbestimmungen menschlichen Seins“ gehöre, dass „Sexualität und Kinderwunsch nicht übereinstimmen“. Prantl versteigt sich zu der Aussage: „Der 218 ist daher dem Buchstaben und dem Geiste nach immer noch ein Recht zur Ächtung der Frau … Paragraf 218 ist bis heute Ausdruck der Missachtung der Frau.“

In der WELT hat sich Professor Kai Möller gegen das Verbot der Abtreibung ausgesprochen. Er schreibt:

Klar erscheint mir jedoch, dass die in Deutschland geltende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfehlt ist, da sie das Demokratieprinzip verletzt. Zur Erinnerung: das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Legalisierung der Abtreibung nicht mit der Pflicht des Staates, menschliches Leben zu schützen, vereinbar ist. Nochmals: es ist aus moralischer Sicht natürlich gut vertretbar, gegen Abtreibung zu sein. Aber als verfassungsrechtliche Vorgabe ist diese Haltung verfehlt, denn sie erklärt die politischen Überzeugungen aller derjenigen, die aus guten, rechtfertigbaren Gründen für die Legalisierung der Abtreibung eintreten, für illegitim. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts haben in ihren Urteilen zum Schwangerschaftsabbruch ihre eigenen moralischen Präferenzen dem ganzen Land aufgezwungen.

Möller bringt ein von der Philosophin Judith Jarvis Thomson entwickeltes Argument in die Debatte ein:

Für den Lebensschützer liegt das Hauptargument auf der Hand: Eine Abtreibung bedeutet die Zerstörung menschlichen Lebens. Niemanden, auch nicht Frauen, die sich für eine Abtreibung entscheiden, lässt dieser Punkt völlig kalt. Insofern kann ich nachvollziehen, wenn Menschen aus echter Überzeugung die Meinung vertreten, dass Abtreibung als Zerstörung menschlichen Lebens und insofern im Grundsatz als rechtswidrig anzusehen sein sollte, wie es dem geltenden Recht entspricht.

Für die Gegenposition gibt es auch gute Gründe. Das stärkste Argument wurde von der amerikanischen Philosophin Judith Jarvis Thomson entwickelt. Ihr Beispiel ist folgendes: Stellen Sie sich vor, dass während Ihres Schlafs ein berühmter Violinist, der eine schlimme Nierenkrankheit hat, an Sie angeschlossen wird, sodass er Ihre Nieren benutzt und so am Leben bleiben kann. Hätten Sie das Recht, die Verbindung zu kappen, wenn das den sicheren Tod des Musikers bedeuten würde?

Ganz klar lautet die Antwort: ja, das Recht hätten Sie, denn niemand darf Ihren Körper gegen Ihren Willen benutzen. Thomson argumentiert nun, dass es sich bei der Schwangerschaft ähnlich verhält. Selbst wenn man davon ausginge (was sie für zweifelhaft hält), dass der Fötus ein Recht auf Leben hat, bedeutet dies nicht, dass die Frau verpflichtet ist, ihm ihren Körper zur Verfügung zu stellen. Man könnte sagen: wenn sie dies tut, dann ist es ein Akt der Liebe, aber es liegt im Wesen der Liebe, das diese nicht erzwungen werden kann und darf.

Dieses Analogieargument wird von den Abtreibungsbefürwortern sehr gern herangezogen. Deshalb an dieser Stelle der Hinweis, dass sich Johannes Gonser in seinem Buch Abtreibung – ein Menschenrecht? (#ad) sehr gründlich damit befasst hat. Seiner Einschätzung nach ist nicht nur die Übertragbarkeit der Analogie problematisch. Er argumentiert auf Grundlage diverser ethischer Prinzipien für die These, dass dieses Argument selbst durch das Zugeständnis der Analogie fehlschlägt und zeigt auf, welche in moralischer Hinsicht weiteren problematischen Implikationen sich aus den darin propagierten Annahmen ergeben.

Lebensrechtler, die den Stellungnahmen von Prantl und Möller sachlich gut begründet widersprechen möchten, sind gut beraten, wenn sie die Abhandlung von Gonser gründlich studieren.

[#ad]

Themelios 49 (1/2024)

Die theologische Fachzeitschrift Themelios ist in der Ausgabe 49 (1/2024) erschienen und kann als PDF-Datei oder im Logos-Format hier heruntergeladen werden.

Erschienen ist unter anderem eine Untersuchung der Sodomerzählung in 1. Mose 19. Die Gelehrten streiten seit Jahren über die genaue Art der Sünde, die Gottes Zorn dort hervorruft. Tatsächlich geht es um mehrere Übertretungen, darunter Unzucht, Vergewaltigung und Ungastlichkeit. Christliche Exegeten betonen traditionell die  homoerotischen Aspekte des Verlangens der Sodomiten. Etliche moderne Exegeten lehnen genau das ab und sind der Auffassung, dass die Homosexualität erst in jüngerer Zeit in den Text hineininterpretiert worden ist.

Melvin L. Otey, der Autor des Aufsatzes „The Ancient Pedigree of Homosexuality as the Sin of Sodom“, schreibt hingegen:

Die Gelehrten werden sich zweifellos weiterhin mit der genauen Natur der Sünde Sodoms auseinandersetzen, da das Ergebnis unter anderem Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Ansichten über homosexuellen Verkehr und Beziehungen haben könnte. Dieser Artikel hat nicht den Anspruch, eine Sünde abschließend zu isolieren. Stattdessen wird argumentiert, dass eines der jüngsten Argumente gegen die traditionelle Sichtweise – dass Gott die Städte des Tals zum großen Teil wegen der zügellosen Unzucht, einschließlich der Homosexualität, in Sodom zerstört – überzogen ist. Die Christen haben diese Lesart von 1. Mose 19 nicht erst in einer historisch jüngeren Zeit angenommen. Die Literatur des Zweiten Tempels zeigt, dass diese Sichtweise der christlichen Kirche vorausging, und die christlichen Schriften des ersten Jahrhunderts n. Chr., insbesondere der Judasbrief, zeigen, dass diese Lesart zumindest von einigen der frühen Jünger Jesu akzeptiert wurde.

Spannend ist auch J. Brittain Brewers Besprechung des Buches Paul’s Gospel for the Thessalonians and Others: Essays on 1 & 2 Thessalonians and Other Pauline Epistles (WUNT 481), Tübingen: Mohr Siebeck, 2022). Ein bemerkenswertes Buch mit – so Brewers – einer substantiellen Schwäche:

Die wesentliche Kritik richtet sich gegen Kims Neudefinition der Rechtfertigung. Im Anschluss an seinen früheren Band zur Rechtfertigung folgt Kim Käsemanns Verständnis der Rechtfertigung als Herrschaftswechsel, eine Verschiebung, die das traditionelle protestantische forensische Verständnis untergräbt (S. 53, 282). Dies macht die Rechtfertigung zu einem „gegenwärtigen Prozess“ (S. 283,  Fn. 8) und nicht zu einer deklarierten Realität. Obwohl Paulus’ Gebrauch der Wortgruppe δικ- komplex ist und bestimmte Vorstellungen von forensischer Gerechtigkeit Paulus’ sorgfältige Überlegungen vereinfachen können, ist die forensische Interpretation nicht ohne exegetische Berechtigung (z. B. Röm 5,1 u. a.). Obwohl Kim dies erwähnt (vgl. S. 93), vermeidet er einige der exegetischen Implikationen, indem er die paulinische Sprache vermischt, so dass Rechtfertigung, Versöhnung und Heiligung alle zu parallelen, sogar synonymen Begriffen für Gottes Werk in Jesus Christus werden (S. 93, 126-28). Es ist jedoch nicht klar, wie Kims Vorschlag, diese Wohltaten zu identifizieren, anstatt sie als unterschiedliche, wenn auch verwandte Wirklichkeiten zu betrachten, dem Text gerecht wird.

Immanuel Kant wurde vor 300 Jahren geboren

Kant gemaelde 3.

Wie verhalten sich Glaube und Vernunft zueinander? Vor der so genannten Aufklärung wurden sie selten als Gegensätze gesehen. Seit Beginn dieser Bewegung im 17. Jahrhundert wurde der Glaube zunehmend durch die Vernunft in seine Schranken verwiesen. Einen Höhepunkt erreichte diese Entwicklung unter dem Einfluss des Königsberger Philosophen Immanuel Kant, der vor 300 Jahren geboren wurde. Seine Philosophie hat die Theologie der Neuzeit entscheidend geprägt. Das Jubiläum bietet eine Gelegenheit, sich mit den Sichtweisen des vielleicht einflussreichsten Philosophen der Moderne vertraut zu machen.

Hier ein Auszug aus einem Artikel, der bei Evangelium21 erschienen ist:

Wie stand Kant nun zu Glaubensfragen und Religion? In seiner religionsphilosophischen Schrift Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, die als Buch 1793 erschien (2. Aufl. 1794), präsentiert Immanuel Kant seine Sicht auf eine auf Vernunft beruhende Religion. Er erteilt darin der mittelalterlichen Metaphysik und Theologie eine Absage, weil sie Dinge verhandelt, die jenseits unserer Erfahrung liegen und damit nicht Gegenstand des wirklichen Wissens sein können. Trotzdem wollte er die metaphysischen Fragen nicht einfach wegwischen, denn: „Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: dass sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft“ (KrV A VII).

Vernünftige Philosophie muss seiner Meinung nach die Idee eines Gottes zulassen, damit das Streben nach höchstem Glück und das moralische Handeln zusammengehalten werden. Diese Einheit lässt sich zwar nicht mehr unabhängig von der menschlichen Vernunft denken (wie früher in der Metaphysik angenommen), ist aber immer noch eine Idee, die uns vor aller Erfahrung in der Vernunft notwendig gegeben ist und die Einheit der Welt verbürgt. Kant verjagte also die Religion aus dem Bereich des Wissens in den Raum der praktischen Vernunft. Gott ist nur noch Gegenstand des vernünftigen Hoffens. Kant wollte „das Wissen aufheben, um zu Glauben Platz zu bekommen“ (KrV B XXX).

Seine Religionsschrift setzt seine drei kritischen Werke voraus. Allerdings wird er in einigen Punkten unmissverständlicher und setzt sich direkt mit dogmatischen und praktischen Fragen des christlichen Glaubens auseinander. Kant erörtert übernatürliche Offenbarungen, geht auf die Erbsünde ein, diskutiert Christologie, Rechtfertigungs- und Gnadenlehre sowie die letzten Dinge (auch Eschatologie genannt). Freilich interpretiert er all diese Themen aus der Perspektive seiner Vernunftreligion. Die Glaubensaussagen, die sich etwa in großen Bekenntnistexten oder Katechismen finden, werden neu ausgelegt. Jüdische Elemente, die in der Bibel enthalten sind, werden herausgefiltert. Die Trinitätslehre lehnt Kant ab. Jesus ist keine göttliche Person, sondern personifizierte Idee des guten Prinzips. Die Gnadentheologie und der Sühnegedanke bereiten ihm größte Schwierigkeiten. „Das Beten, als ein innerer förmlicher Gottesdienst und darum als Gnadenmittel gedacht, ist ein abergläubischer Wahn (ein Fetischmachen)“ (Religion B302). Das „Pfaffentum“ ist eine Form des Afterdienstes (Religion B270 ff.). Wenn es Wunder gäbe, führt Kant aus, wäre unsere Vernunft sowohl in praktischer wie in theoretischer Hinsicht unbrauchbar (vgl. KrV B 122–124). Die biblischen Geschichten werden von ihrer „mystischen Hülle entkleidet“, die den Vorstellungen alter Kulturen geschuldet ist, um schließlich ihren Vernunftsinn für alle Welt und alle Zeiten offenzulegen (Religion B 114). Das Reich Gottes ist irdisch gedacht als das Reich der Sinne und des Verstandes, – ein moralisches Reich, in dem Menschen ihre Pflichten erkennen (vgl. KrV, B 142).

Mehr: www.evangelium21.net. Etwas ausführlicher an dieser Stelle: mbstexte198_phil_anstoesse_deu.pdf.

Der Darwinismus kann alles erklären

Aus dem Schlusswort eines anerkannten Lehrbuchs zur Evolutionstheorie (Jan Zrzavý, Hynek Burda, David Storch u. a., Evolution: Ein Lese-Lehrbuch, Berlin u. Heidelberg: Springer, 2013, S. 455):

Wir wissen es nicht, wir haben keine Ahnung. Wir wissen nur, dass der Darwinismus in der Lage ist, alles zu erklären, und letztendlich irgendeine Erklärung bieten wird, wenn wir das Phänomen wirklich unter die Lupe nehmen würden. Dazu müssten wir aber wissen, wonach wir eigentlich genau fragen. Der Darwinismus bietet insoweit einen allgemeinen Erklärungsrahmen, als dass er als einziger mehr ermöglicht, als nur vor einer Vitrine mit Gehäusen zu stehen und zu staunen.

Na dann.

VD: RJ